Nathalie

Gilbert Becaud besang Nathalie und machte diesen weiblichen Vornamen unsterblich. Anne Fontaine schuf einen Film mit dem gleichen Namen. Und eine Supermarktkette, die für ihre Kampfpreiszone bekannt ist, nennt eines ihrer Eigenprodukte ebenfalls "Nathalie". Es handelt sich dabei um ein Tampon. Mir ist zwar vollkommen schleierhaft, wie man_frau ein Tampon mit einem weiblichen Vornamen verzieren kann, aber vielleich hilft der somit entstandene Grad der Personalisierung über ein nachwievor tabuisiertes Thema zu sprechen.

Nun kam es, dass mir die Packungsbeilage einer leeren Schachtel "Nathalie" (funktioniert doch prima!) in die Hände kam. Als interessierte_r Leser_in weiß ich, dass solche Packungsbeilagen durchaus eine spannende Lektüre darstellen können. Und seit Luise F. Pusch ihren legendären Beitrag "Die Menstruation ist bei jedem ein bißchen anders" 1982 in der Zeitschrift Courage veröffentlichte, wissen alle sprachkritischen Leser_innen: der Teufel/die Teufelin steckt im Detail oder im Beipackzettel. im Falle von Luise F. Pusch handelte es sich um jene Tampons, die die Regel dort aufnehmen, wo sie passiert und die festhielten, dass die Menstruation bei JEDEM ein bisschen anders ist. Prompt schrieb die Pionierin der feministischen Sprachkritik an die herstellende Firma und vermerkte, dass die "Menstruation bei jeder Frau ein bisschen anders" verliefe. Als Dank erhielt Frau Pusch eine Schachtel mit Tampons und den Hinweis, dass man_frau die Produktanleitung gerne ändern werde.

27 Jahre später ist alles in bester feministischer Sprachordnung. "Nathalie" sprach die Kundin in der Packungsbeilage direkt an und benutzt das Höflichkeits-"Sie". Ich muss gestehen, dass ich bei der Lektüre nur auf einen Faux-Pas wartete. Ich wollte 27 Jahre nach Luise Pusch erneut einen nicht gendergerechten Gebrauch in einer Tamponpackungsvbeilage finden. Und was passierte... ich wurde über alle Maßen bestätigt. Die "Wichtige Information für Ihre Gesundheit" enttäuschte mich nicht. Es geht um das so genannte Toxic Shock Syndrom, das bei "Männern, Frauen und Kindern aufreteten kann." Hier ortete ich schon den ersten Hinweis auf meinen Verdacht. "Männer, Frauen und Kinder". Wieso kam es zu dieser Reihung? Warum wurden die Männer zuerst genannt? Heißt es nicht immer Frauen und Kinder zuerst, wenn ein Schiff untergeht. So soll es doch auch bei einer Packungsbeilage für Tampons sein. Frauen und Mädchen sollten doch zuerst genannt werden. Aber diese - zugegeben noch sehr schwache Bevorzugung des Männlichen in einem Produkt, das (fast) ausschließlich von Frauen verwendet wird - war nicht der einzige Verstoß. Weiter im Text hieß es:

"Wenn Sie plötzlich während Ihrer Menstruation hohes Fieber (...) bekommen, Hautausschlag (...), was unwahrscheinlich ist, sollten Sie Ihren Arzt aufsuchen. (...) Teilen Sie Ihrem Arzt mit, dass Sie Ihre Regelblutung haben. Frauen, die an TSS erkrankt sind, empfehlen wir, vor der weiteren Tampon-Verwendung mit ihrem Arzt zu sprechen."

Abgesehen davon, dass die Texter_innen im letzten Satz den Pfad der direkten Anrede verließen und somit ins Allgemeine und Unpersönlichere gingen - so als wollten die Hersteller_innen der Tampons den Zusammenhang zwischen ihren Produkten und besagter Krankheit auch stilistisch ins Irreale stellen, so erschien mir doch auch die Tatsache interessant, dass die Ärzte wieder einmal männlich sind. Dabei ist gerade die Berufsbezeichnung Arzt/Ärztin ein Musterbeispiel für gendergerechte Sprache. Wenn Sie schon jemals in den Genuss eines Gender Mainstream-Seminars kamen, kennen Sie mit Sicherheit die Geschichte von Vater und Sohn, die einen Autounfall haben, bei dem der Vater stirbt und der Sohn ins Spital geliefert wird. Wenn nicht, sollten Sie sich diese Geschichte von fachkundigen Menschen erzählen lassen und Sie werden verstehen, warum es nicht egal ist ob es sich um einen Arzt oder eine Ärztin handelt.

Vor 27 Jahren war die "Menstruation noch bei JEDEM ein bißchen anders" - heute werden Frauen noch immer zum Arzt und nicht zur Ärztin geschickt.

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