Schleier und "einäugige" Frauen

Diskussionen um das Tragen eines Kopftuches gehören zum migrationspolitischen Alltag in Westeuropa. Kein anderes Symbol wird derart mit dem Islam in Verbindung gebracht, wie das Kopftuch, der Tschador oder die Burka.

Somit wird eines der stärksten religiösen und kulturellen Symbole des Islams und der anverwandten kulturellen -ismen eindeutig von Frauen besetzt. Die Frage, ob Sie dies ganz freiwillig tun ist zunächst sekundär. Ähnliches ist in der christlichen Welt nicht zu beobachten. Weder der Fisch noch das Kreuz - als religiöse Symbole der Christ/innen - werden von einem Geschlecht für sich beansprucht respektive einem Geschlecht zugerechnet. Interessant erscheint mir darüber hinaus, dass ein Bekleidungsstück, das ebenfalls in den so genannten westlichen Kulturen vorkommt, in einer anderen als religiöses und/oder kulturelles Identitätsmerkmal gesehen wird. Ich kann mir sogar vorstellen, dass der Halbmond als Symbol des Islams weitaus weniger im kollektiven Gedächtnis des Abendlandes verankert ist als eben das Kopftuch.

Und gerade weil das Kopftuch so eng mit dem Islam und seinen abgeleiteten -Ismen in Europa verbunden ist, sind Nachrichten, die über dieses Thema aus dem Nahen und Mittleren Osten zu uns drängen von großer Aufmerksamkeit gekennzeichnet. Sei es die Diskussion um das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten oder wie in einem neueren Fall, die Forderung eines gewissen Scheich Mohammed al-Habdan, der laut Pressebericht, der Meinung ist, Frauen sollten in der Öffentlichkeit auch ihre Augen mit einem Schleier oder zumindest eines der beiden Augen bedecken. Das Argument ist durchaus das zuerwartende Sexuelle: Die Blicke der Frauen seien vor allem für unverheiratete Männer schwer zu ertragen. Ein spanne(r)nder und äußerst diskussionswürdiger Ansatz. Frauen müssen ihre Reize verhüllen, damit die armen Männer nicht in Versuchung geführt werden. Damit wird der Mann zum Unschuldigen und zum Opfer, der den "Reizen der Frau erliegt". Die männlichen Zuschreibungen der femme fatale, der Verführerin, der Teufelin sind schnell bei der Hand. Die adäquate Kleidung wird in Saudi Arabien sogar vorgeschrieben und von der Religionspolizei vollkommen überwacht.

Für westeuropäische Ohren ist eine solche Forderung unverständlich. Die gelebte vestimentäre Praxis eine vollkommen unterschiedliche. Bei sommerlichen Temperaturen sind es in vielen Fällen (nicht in allen) Frauen, die mehr Haut zeigen, als die Männer. In bestimmten Kreisen sind kurzärmelige Hemden sogar verpönt und auch im Sommer ist die lange dünne Hose angesagt, während Frauen durchaus im Kleid außer Haus und ins Büro gehen dürfen (wobei von "dürfen" im Sinne einer expliziten Erlaubnis keine Rede sein darf.)

Aber den Topos der "verhüllten" Frau finden wir auch gerade in religiösen Feiern in Europa. Das Lüften des Schleiers ist nach wie vor bei der Hochzeit üblich und auch bei Begräbnissen ist das Tragen eines schwarzen Schleiers hin und wieder zu sehen, wenn auch nicht mehr so oft wie in früheren Zeiten. Jedoch ist es noch gar nicht so lange her, dass Frauen auch in Westeuropa zumindest ab einem bestimmten Alter in Sack und Asche herum gehen mussten. Auch wenn ich die saudi-arabische Vermummungsgesetzgebung für Frauen nicht gut heißen kann, so würde ich sie nicht allzu schnell verurteilen. Frauenrechte werden auch in Europa nach wie vor beschnitten - auch in der Bekleidungsfrage.

Link zum Artikel: die Presse online
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